Wir haben alle zwei Leben…

Ein Beitrag von Frauke Bataille

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Dieser Text eines brasilianischen Autors hat mich berührt – er hat etwas mit mir gemacht – mich wach gerüttelt. Und er hat mich dazu gebracht, Entscheidungen zu treffen und mein Leben zu ändern. Aus diesem Text stammt das Zitat: „ Wir haben alle zwei Leben und das zweite beginnt, wenn Du erkennst, dass Du nur eins hast.” – Vielleicht gefällt er Ihnen ja auch?

Ich zählte meine Jahre und entdeckte, dass mir weniger Lebenszeit bleibt, als die, die ich bereits durchlebt habe. Ich fühle mich wie jenes Kind, das eine Schachtel Bonbons gewann: die ersten aß es mit Vergnügen, doch als es merkte, dass nur noch wenige übrig waren, begann es, sie wirklich zu genießen.

Ich habe keine Zeit mehr für endlose Konferenzen, in denen Statuten, Regeln, Verfahren und interne Vorschriften besprochen werden, wohl wissend, dass nichts erreicht wird. Ich habe keine Zeit mehr, absurde Menschen zu ertragen, die ungeachtet ihres Alters nicht gewachsen sind.

Ich habe keine Zeit mehr, mit Mittelmäßigkeiten zu kämpfen. Ich will nicht in Versammlungen, in denen aufgeblasene Egos aufmarschieren. Ich vertrage keine Manipulierer und Opportunisten. Mich stören die Neider, die versuchen, Fähigere in Verruf zu bringen, um sich ihrer Positionen, Talente und Erfolge zu bemächtigen. Die Menschen, die keine Inhalte diskutieren, sondern, wenn’s hochkommt, die Überschriften.

Meine Zeit ist zu knapp, um über Überschriften zu diskutieren. Ich suche nach dem Wesentlichen, denn meine Seele hat es eilig. Ohne viele Süßigkeiten in der Schachtel.

Ich möchte mit Menschen leben, mit menschlichen Menschen. Die über ihre Irrtümer lachen können, die sich nichts auf ihre Erfolge einbilden. Die sich nicht vorzeitig berufen fühlen und die nicht vor ihrer Verantwortung fliehen. Die die menschliche Würde verteidigen und die nur an der Seite von Wahrheit und Anstand gehen möchten. Das ist es, wofür es sich zu leben lohnt.

Ich möchte mich mit Menschen umgeben, die sich darauf verstehen, das Herz der Menschen zu berühren. Menschen, die die harten Schläge des Lebens lehrten, in sanften Berührungen der Seele zu wachsen.

Ja … ich habe es eilig … in der Intensität zu leben, die nur die Reife geben kann.

Ich versuche, keine der Süßigkeiten, die mir noch bleiben, zu verschwenden. Ich bin mir sicher, dass sie noch köstlicher sein werden, als die, die ich bereits gegessen habe.

Mein Ziel ist es, das Ende zufrieden zu erreichen, in Frieden mit mir, meinen Lieben und meinem Gewissen.

Wir haben zwei Leben und das zweite beginnt, wenn Du erkennst, dass Du nur eins hast.

Mário Raúl de Morais Andrade (*9.10.1893 in São Paulo; †25.02.1945 ebenda) war ein brasilianischer Schriftsteller und Musikforscher. Er ist von überragender Bedeutung für die brasilianische Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, und auf dem Gebiet der Musikethnologie reicht sein Einfluss weit über Brasilien hinaus.